von Rainer Hill

Interview: „Eine ERP-Einführung hat mehr von einem gemeinsamen Theaterstück, als von einer Filmvorführung“ - Teil 2

Eine neue ERP-Software einzuführen, ist ein anspruchsvolles Projekt, dass auf Anwenderseite und auf Seiten des IT-Dienstleisters ein engagiertes Projektteam benötigt. Lutz Thielemann, Consulting-Leiter bei Nissen & Velten, hat Rainer Hill im Interview berichtet, welche Vorgehensweisen im ERP-Projekt erfolgversprechend sind, welche Hürden es geben kann und was man besser vermeiden sollte.

Autor: Rainer Hill

Rainer Hill ist Public Relations Manager und Pressesprecher von Nissen & Velten. Unter anderem betreibt er den Podcast "Digitalisierung im Großhandel" und produziert das eNVenta-Magazin.

Der Weg zum erfolgreichen ERP-Projekt hat viele Facetten.

Der Weg zum erfolgreichen ERP-Projekt hat viele Facetten.

Wenn sich Kunde und ERP-Hersteller beziehungsweise IT-Dienstleister über das Projektziel einig sind - wie sieht der beste Weg dorthin aus? Wie sollten idealerweise Projekte organisiert sein?

 

Über den Erfolg eines Projekts wird in einer frühen Phase bei der Definition des Projektumfangs entschieden. Empfehlen kann man deswegen ein stufenweises Vorgehen oder ein Vorgehen anhand von Meilensteinen. Das sollte damit beginnen, dass man sich über den Umfang einigt. Welche Funktionalitäten werden wirklich benötigt? Geht es nur um Warenwirtschaft und Finanzbuchhaltung oder auch noch um ein Lagerverwaltungssystem und einen Webshop? Welche Funktionen gehören nicht zum Umfang des Projekts? Diese Leistungsdefinition und -abgrenzung muss durchgeführt werden.

 

Ist dafür der Workshop mit dem Kunden die Methode der Wahl?

 

Ein solcher Workshop kann helfen, mögliche Risikothemen für den Projektverlauf herauszuarbeiten – allerdings birgt ein Workshop auch die Gefahr eines allgemeinen Wunschkonzerts. Da kommt es auf die professionelle und auf den Standard und Best Practices ausgerichtete Arbeitsweise des Teams im Workshop an, damit “alte Zöpfe“ abgeschnitten werden.

 

In welchen Etappen geht eine eNVenta-Einführung mit Nissen & Velten idealerweise vor sich?

 

Wir arbeiten nach dem klassischen Wasserfall-Modell mit klaren Phasenübergängen. Das beginnt mit der Initiierung: Hier legen wir den zeitlichen Rahmen und die Projektbeteiligten mit dem Kunden fest. Es folgt die Umsetzung: Wir definieren mit dem Kunden zusammen die Prozesse in eNVenta und parametrieren entsprechend mit dem Kunden zusammen das System. Bei Bedarf werden Anpassungen programmiert. In dieser Phase ist eine intensive Mitarbeit des Kunden erforderlich. Er wird „Eigentümer“ des Systems, Der Kunde erstellt Testpläne, Formularanpassungen und Datenübernahmen werden umgesetzt. Dann ist der Integrationstest an der Reihe: Die Prozesse werden von Anfang bis Ende getestet – systematisch über Abteilungen hinweg. Es folgt der Roll-Out: Im Roll-Out schulen die Key-User des Kunden die End-User und die Feinplanung des Go-Live wird geplant. Schließlich der Abschluss: Der Go-Live erfolgt und das Projekt wird mit Unterstützung durch Nissen & Velten abgeschlossen. Beginnend mit der Umsetzungsphase übernimmt der Kunde immer mehr die Verantwortung für sein System.

 

Wie schwer oder einfach ist heute die Übernahme von Stammdaten und gegebenenfalls auch Bewegungsdaten aus alten Systemen?

 

Technisch stellt das in der Regel keine Herausforderung dar. Wir legen allerdings Wert darauf, dass man Datenübernahme aus Sicht des Zielsystems betrachtet und angeht. Das beginnt damit, dass die notwendigen Stammdaten und Ausprägungen der Stammdaten wie Beschaffungskennzeichen, Preise oder Artikelgruppen für die Nutzung der Prozesse in eNVenta bekannt sind – und das geht nur, wenn die Prozesse definiert sind. Häufig wurde in der Vergangenheit der Fehler gemacht, dass man geschaut hat wo bekomme ich die alten Daten im neuen System unter – häufig bevor die Prozesse mit Ihren benötigten Stammdaten definiert waren. Bewegungsdaten stellen häufig eine Herausforderung dar, weil Prozesse im alten System zu Bewegungsdaten geführt haben, die so in eNVenta nicht benötigt werden oder denen für eNVenta wichtige Informationen fehlen, weil etwa Prozesse neu definiert worden sind. Häufig stehen dann Aufwand und Nutzen in keinem guten Verhältnis. Wir empfehlen daher im Zuge des Go-Live geeignete Strategien zu definieren, wie mit offenen Geschäftsvorfällen organisatorisch und im Zuge einer reduzierten Datenübernahme umzugehen ist. Für abgeschlossene historische Vorgänge im Altsystem bietet sich Übergangsweise die Bereitstellung der Daten in einem „Read-Only“ Modus an.

 

Bei vielen kleineren Unternehmen sind die Projektbudgets überschaubar. Was können diese im ERP-Projekt tun, um Kosten zu sparen?

 

Long Story short: Im Standard bleiben und wenig bis keine Formularanpassungen beauftragen. Genau abwägen, welche Stammdaten migriert werden und welche man besser manuell erfasst. Bei weniger als 1.000 Datensätzen lohnt sich häufig eine systemunterstützte Migration nicht – vor allem dann nicht, wenn auch noch Datenbereinigung hinzukommt, die der Mensch übernehmen muss.

 

Wenn es bei der Zielerreichung kurz vor dem möglichen Echtstart eng wird, dann scheinen sich Projektteams in zwei Lager zu teilen. Die einen wollen mit 90 Prozent der gewünschten Funktionalitäten starten, die anderen wollen den Echtstart gegebenenfalls ein paar Monate verschieben, um 100 Prozent zu erreichen. Ist das in der Praxis tatsächlich so?

 

Ja das gibt es. Ich versuche immer zu schauen, wo denn die Diskrepanz dieser zehn Prozent herkommt. Wenn am Ende zehn Prozent fehlen, dann habe ich in der Regel in der Umsetzungsphase nicht sauber gearbeitet. Jetzt kann es aber auch passieren, dass ich in der Umsetzungsphase feststelle, dass ich noch Themen habe, die für den Echtstart aber nicht relevant sind und die deshalb vertage. Das ist der kontrollierte Modus und der birgt auch wenig Risiko. Schwierig sind die fehlenden zehn Prozent die vom definierten Projektumfang fehlen, weil das dann eine Unbekannte im Projekt ist. Ich agiere beim Go-live mit angespannten Ressourcen und kann, wenn es schlecht läuft, nur reagieren. Im Best Case habe ich frustrierte Kunden. Im Worst Case habe ich tatsächlich einen wirtschaftlichen Schaden, weil ein Prozess nicht funktioniert oder falsche Ergebnisse liefert. Deshalb legen wir schon sehr viel Wert darauf, dass die Themen in der Umsetzungsphase hochkommen und nicht erst kurz vor dem Echtstart.

 

Kurz gesagt, es kommt also darauf an…

 

Es kommt darauf an! Es gibt gute zehn Prozent und es gibt schlechte zehn Prozent, die an Funktionsumfang fehlen können.