von Rainer Hill

Interview: „Eine ERP-Einführung hat mehr von einem gemeinsamen Theaterstück, als von einer Filmvorführung“ - Teil 1

Eine neue ERP-Software einzuführen, ist ein anspruchsvolles Projekt, dass auf Anwenderseite und auf Seiten des IT-Dienstleisters ein engagiertes Projektteam benötigt. Lutz Thielemann, Consulting-Leiter bei Nissen & Velten, hat Rainer Hill im Interview berichtet, welche Vorgehensweisen im ERP-Projekt erfolgversprechend sind, welche Hürden es geben kann und was man besser vermeiden sollte.

Autor: Rainer Hill

Rainer Hill ist Public Relations Manager und Pressesprecher von Nissen & Velten. Unter anderem betreibt er den Podcast "Digitalisierung im Großhandel" und produziert das eNVenta-Magazin.

Der Weg zum erfolgreichen ERP-Projekt hat viele Facetten.

Der Weg zum erfolgreichen ERP-Projekt hat viele Facetten.

In vielen mittelständischen Unternehmen werden ERP-Lösungen oft erst nach 15 oder 20 Jahren abgelöst. Für die Anwender ist die neue Lösung dann eine völlig neue Welt. Wie motiviere ich meine Mitarbeiter für diesen Aufbruch, für die Mitarbeit im ERP-Projekt?

Der Sinn der Veränderungen muss für die Mitarbeiter vollkommen klar sein und verständlich und rechtzeitig kommuniziert werden. Der Fokus des Projekts sollte daher nicht nur auf der Technik, sondern vor allem auf den Menschen in meinem Unternehmen liegen. Wichtig ist es, aktive Unterstützer im Unternehmen zu finden und in das Projekt einzubeziehen.

Man hört oft, ein ERP-Projekt ist Chefsache. Ist das tatsächlich so?

Ja. Ohne sichtbares Commitment des Managements scheitern Projekte leichter. Die internen Prioritäten richten sich auch nach der – neudeutsch – Management-Attention. Daher endet das Commitment eben auch nicht mit der Beauftragung des Projektes. Auch im Verlauf des Projektes ist Präsenz des Managements gefragt: Sei es als Entscheider im Leitkreis oder aber auch nur als wirklich an der Arbeit und dem Projektfortschritt seiner Mitarbeiter interessierter und damit präsenter Stakeholder. Es geht auch um die Anerkennung der häufig in Folge des Projektes entstehenden Zusatzbelastung bei den Key-Usern, die das Projekt operativ tragen.

Die Bildung eines solchen Key User-Teams ist also empfehlenswert?

Ja. Der Begriff Key-User hat sich etabliert. Man spricht aber auch von Business Process Ownern, also wörtlich den Eigentümern der Geschäftsprozesse. Das entspricht dem Ansatz der prozessgetriebenen Beratung heutzutage besser. Wichtig ist es, dass die richtigen Personen gefunden werden. Sie sind mitentscheidend für einen Projekterfolg. Kriterien für die Auswahl sind beispielsweise Prozessverständnis im jeweiligen Fachbereich, Abstraktionsvermögen und die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszusehen, also interdisziplinäres Denken und Handeln zu praktizieren. Dazu kommen noch Entscheidungsfähigkeit gepaart mit Teamplayer-Eigenschaften, eine Offenheit dem Neuen gegenüber und didaktische Fähigkeiten zur späteren Wissensvermittlung an die Endanwender. Man siehst also – jede Menge Softskills. Ein Mitarbeiter wird selten alle diese Fähigkeiten in einer Person vereinen. Aber das sind die Kriterien von denen man sich leiten lassen sollte.

Worauf sollte ich als kleines oder mittelständisches Unternehmen jenseits der reinen Funktionsanforderungen an die Software achten, bevor ich ein ERP-Projekt beauftrage?

Sehr gut ist es, wenn Projektmanagement Know-how und Kompetenz im Unternehmen vorhanden sind und damit das Projekt gesteuert werden kann. Wenn nicht, dann muss ich mir einen Partner suchen, der nicht „nur“ eine Software mitbringt, sondern auch die Projektmanagement-Disziplin mitbringt. Das ist selbstverständlich unser Anspruch als Unternehmen. Dennoch sollte auch das Anwenderunternehmen Verantwortung für sein ERP-Projekt übernehmen. Der Kunde kann bei uns natürlich gegen den Einwurf von Münzen fast „All-Inclusive“ buchen, aber sinnvoll ist das nicht. Nach Abschluss des Projektes soll der Anwender seine Lösung ja autark betreiben können. Eine ERP-Einführung hat deshalb mehr von einem gemeinsamen Theaterstück, als von einer Filmvorführung durch uns als Dienstleister.

Wir kann sichergestellt werden, dass das ERP-Einführungsprojekt auf Kurs bleibt und nicht aus dem Ruder läuft?

Wichtig ist im Projekt das Controlling, also die regelmäßige Fortschrittskontrolle: Liege ich noch im Zeitplan und im Budget? Bearbeite ich die richtigen Themen im Projekt mit der richtigen Priorität? Häufige Änderungswünsche während des Projektzeitraums treiben erfahrungsgemäß nicht nur die Kosten in die Höhe. Sie stellen auch für die anderen beiden Ecken des Projektdreiecks – Zeit und Qualität – Risiken dar. Das Know-how eines Teams ist wichtig, aber der entscheidende Erfolgsfaktor ist die Fähigkeit zur Kooperation.

Im in Kürze folgenden zweiten Teil des Gesprächs geht es um die Übernahme von Stammdaten, die Projektmethodik von N&V und die Einhaltung von gesetzten Live-Start-Terminen.